Aufgrund seiner Kolonialvergangenheit ist uns unser Nachbarland in der Migration zeitlich voraus: Schon ab den 1960er-Jahren fluteten Einwanderströme aus Nordafrika, besonders Algerien, über das Mittelmeer. Hauptanlaufpunkt war zunächst Marseilles. Der legendäre Peter Scholl-Latour recherchierte 1987 in den Sozialbau-Stadtvierteln, wo man die Neubürger untergebracht hatte. In diesen Vierteln, so berichtet er, hatte sich „eine bemerkenswerte Umschichtung vollzogen.“ Die anfangs noch gemischt bewohnten Mietshäuser waren „erst allmählich, dann massiv von Maghrebinern unterwandert worden. In jenen Gebäudekomplexen, die die freundlichen Namen La Paternelle oder La Solidarité trugen, brachen binnen weniger Jahre bürgerkriegsähnliche Zustände zwischen Europäern und Nordafrikanern aus. Die Weißen zogen dabei meist den kürzeren. Sie resignierten wütend, wanderten am Ende in andere periphere Ortschaften ab.“
Scholl-Latour sprach mit einem Geistlichen, der zwischen den „zwei zutiefst verfeindeten Bevölkerungsgruppen“ Sozialarbeit organisierte. „Aber der Erfolg ist gering, die Arbeit mühselig. Selbst unsere Schwestern und und Patres leiden unsäglich“, so der Monseigneur. Und er charakterisiert das Problem der Jugend, der 2. Generation der Zuwanderer: „Es hat sich ein fataler Zyklus entwickelt, der lautet: Immigration, Arbeitslosigkeit, Straffälligkeit und am Ende – Hinwendung zum islamischen Fundamentalismus.“
Jetzt, ganz aktuell, berichtet jemand über die heutigen französischen Zustände: der Autor des Buchs Guerilla, Laurent Obertone. Befürchtungen über eine zunehmende Bürgerkriegsgefahr aufnehmend, schildert das Buch einen Migrantenaufstand in Paris, der schnell eskaliert und die Hauptstadt ins Chaos stürzt und kollabieren lässt.
Im Interview sagt Obertone: „In Lyon gab es in den 80er Jahren die allerersten Aufstände, brannten die ersten Autos, gab es die ersten Zusammenstöße zwischen der Polizei und Jugendlichen mit Migrationshintergrund … Dann wurde neben Marseille vor allem Paris zum Epizentrum. Der gesamte Pariser Banlieu-Gürtel ist ein Pulverfaß, wie man 2005 gesehen hat [11-tägige Revolte mit Toten und tausenden Brandstiftungen]. Diese Aufstände verbreiten sich rasch, sie werden von anderen Quartieren aufgenommen, es gibt eine Art Wettlauf … es gibt jeweils Stützpunkte, gehalten im Wesentlichen vom Drogenhandel, die sich gegen jede Form von Autorität erheben … Und Sie finden inzwischen auch in allen mittleren und sogar kleinen Städten den Drogenhandel … [dies] dürfte auch einen direkten Zusammenhang mit der Verschlechterung der Sicherheitslage in vielen Kleinstädten geben … In einer solchen Banlieu-Siedlung versuchen die Bewohner nicht wirklich, sich sozial zu integrieren. Sie beziehen Sozialhilfe und leben nur in ihrer eigenen Gruppe, in der sie sich einen Ruf zu erabeiten versuchen, und das erfolgt dort nun einmal vorwiegend durch kriminelle Akte wie Drogenhandel … Diejenigen nun, die in diesem Milieu besonderen Respekt genießen, nennt man caids. Das sind diejenigen, die einen höheren Profit aus Drogenhandel, Prostitution usw. einstreichen und die Netzwerke leiten, eine Art rudimentäres Mafia-System. Manche von ihnen haben sogar kleine ‚Armeen‘, die bereit sind, ihnen zu Hilfe zu kommen, wenn sie im Gefängnis sind. Einem caid, der wegen Mordes an einer Polizistin vor Gericht stand, haben seine Komplizen mit Hilfe von Sprengstoff zur Flucht verholfen. Kurz gesagt: In allen größeren Städten etabliert sich inzwischen eine Art Gegenherrschaft.“
Eigentlich für uns nichts Neues: Die inzwischen übermächtig gewordenen kriminellen Groß-Clans herrschen über Stadtviertel in Berlin, Essen, Duisburg, Dortmund, Gelsenkirchen und inzwischen auch kleineren Städten. Und ein erfahrener Berliner LKA-Beamter sagt: „Das was wir heute mit diesen Clans sehen, ist nur der kleine Bruder dessen, was durch die Zuwanderwelle ab 2015 entstehen wird.“
Frankreich in der Migration voran? Wir haben aufgeholt. Und haben gut Chancen zu überholen …